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Sokrates: Du gibst doch zu, Euthyphron, dass es viele verschiedene gerechte und ungerechte Handlungen gibt?
Euthyphron: Die gibt es.
Sokrates: So sage mir nun um Zeus´ Willen, was ist das Gerechte oder Ungerechte? Worin besteht nach deiner Einsicht das Gerechte oder Ungerechte, das in allen verschiedenen Handlungen eine sich selbst gleiche gewisse Gestalt hat?
Euthyphron: Was ich jetzt tue, das ist gerecht, nämlich einen Totschläger zu verfolgen, sei er Vater oder Mutter oder wer sonst auch immer.
Sokrates: Ich fragte dich nach dem einen Begriff der Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, durch welchen alle Handlungen erst gerecht oder ungerecht sind, erinnerst du dich. Und du erklärst, was du jetzt tust, wäre gerecht.
Also nochmals, lehre mich die Gestalt, die Idee, den Gedanken, das Allgemeine der Gerechtigkeit, damit ich gewissermaßen ein Urbild habe, mit dem ich Handlungen, wie du sie anstrebst, als gerecht beurteilen kann.
Nimm deinen Verstand zusammen. Behandle mich nicht so geringschätzig. Du musst es wissen, denn würdest du das Gerechte nicht kennen, so hättest du niemals wegen eines Tagelöhners deinen Vater wegen Totschlags verklagt.
(Nach Platon: Euthyphron)
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