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Erinnerungen eines Landwirts (3. Teil)

Serie

mit Texten von Konrad Gutschke



Im Dorfkrug feiert man noch heute 


Gewitter über Hüsby
Wenn der Wind richtig pfiff, herrschte immer einige Unruhe, mehr noch als bei einem Gewitter. Jeder achtete auf jeden. Man sagte entweder Bescheid oder bekam Bescheid, z.B. welche Türen man benutzen sollte. Wir hatten die heftigsten Stürme meist aus Nordwest. Dieser Wind traf unsere vordere Hausfront, sie musste dem größten Druck standhalten. Eine Vordertür durften wir dann nicht gefahrlos öffnen. Dann hieß es möglichst hinten einzutreten. Ich habe ja schon erzählt, was passieren konnte, wenn der Wind ein Schlupfloch fand und ins Haus eindrang.
Aber Gewitter waren auch nie zu unterschätzen und wenn ich so die letzten Jahre betrachte, welchen Schaden Blitzschläge so alles angerichtet haben, z.B. die vielen elektronischen Anlagen, die hier vor drei, vier Jahren zerstört wurden, dann glaube ich, dass wir uns auch weiterhin vor Gewittern zu recht fürchten sollten.
Als Kind wurde uns immer von unseren Eltern und Großeltern gesagt: „Vor Blitzeinschlägen sind wir sicher, unsere hohen Bäume sind unsere Blitzableiter“. Ob das aber stimmt? – Ich glaube kaum.
Es war in den 60iger Jahren, im Sommer. Meine Frau und ich waren auf dem Feld, etwas außerhalb des Dorfes in Hüsbyfeld, das zwischen Hüsby und Ellingstedt liegt. Wir haben angemäht. Ich war mit der Sense zu Gange, meine Frau hat gebunden. Wir arbeiteten im schönsten Sonnenschein. Aus der Entfernung sahen wir wohl, dass über Hüsby dunkle Gewitterwolken aufzogen und auch Blitze zuckten, wir hörten auch das ferne Donnergrollen, da uns aber die Sonne schien, achteten wir nicht weiter darauf.
Nachmittags, unsere Arbeit war gut vorangekommen, fuhren wir dann hoch ins Dorf. Und da sahen wir gleich die dicken Feuerwehrschläuche auf der Straße liegen. Einige Schritte weiter, nicht weit von der Dorfmitte entfernt, standen wir dann vor dem qualmenden und brennenden Haus eines der Dorfbauern. Wir eilten nach Hause und schauten dort nach dem Rechten. Dann machte ich mich aber sogleich wieder nach unten auf, um bei den Lösch- und Aufräumarbeiten zu helfen. Unser Einsatz war hart, aber er blieb dennoch vergeblich. Was die Flammen nicht vermocht hatten zu zerstören, hatte schließlich das Löschwasser besorgt. Das Haus war nicht mehr zu retten. Gegen Abend, die Löscharbeit war im Wesentlichen abgeschlossen, es standen aber noch Aufräumarbeiten an, zog erneut über Hüsby ein heftiges Gewitter mit Blitz und Donner auf. Jetzt hielt mich nichts mehr an der Brandstelle. Ich war mir gewiss, meine Frau würde voller Angst sein. „Ich muss erst einmal nach Hause und sehen, was mit meiner Familie ist“, erklärte ich den anderen und hastete nach Hause. Aber meine Frau war nicht vor Angst erstarrt. Sie hatte unseren kleinen Sohn in seinen Kinderwagen gesteckt, dazu neue Kleidung und alle unsere wichtigen Papiere. Sie stand da, gespannt und voller Erwartung. Wenn etwas passiert wäre, sie wäre rausgekommen. Ja, so war das damals!
Auf dem Land brennt es immer noch zuweilen. Meist durch Brandstiftung. Manche brechen ja ihr Haus auch warm ab, wie das Gerücht so geht. Aber wodurch auch immer, dass Häuser abbrennen, wird sich wohl nie vermeiden lassen. Deshalb gibt es in Hüsby immer noch die freiwillige Feuerwehr. Feuer zu löschen ist vielleicht die einzige Aufgabe, an der das ganze Dorf immer noch gemeinsam Anteil hat.

Schule nach dem Krieg
In Hüsby bin ich geboren und aufgewachsen. Hier habe ich immer gelebt und gearbeitet. Ich hatte den Vorzug, meiner Arbeit nie hinterherlaufen zu müssen. In Hüsby bin ich auch zur Schule gegangen, einer zweiklassigen Dorfschule mit jeweils drei und vier Abteilungen, wie wir es nannten. Ich kam 1945 zur Schule. Da im Frühjahr keine Einschulung statt fand, weil noch Krieg war, kam ich erst im Herbst zur Schule. So brauchte ich nur achteinhalb Jahre zur Schule zu gehen.
Wir hatten zu meiner Zeit zwei Lehrer hier. Später kam noch ein dritter hinzu, was darauf zurückzuführen war, dass Englisch als Unterrichtsfach hinzukam und ein Englischlehrer gebraucht wurde. Meine Altersstufe war praktisch die erste, bei der Englisch ab dem 6. Schuljahr Pflichtfach wurde. Das zusätzliche Fach brachte das ganze Schulgefüge durcheinander. Wir waren 27 Kinder in meiner Klasse, die das 6. bis 9.Schuljahr umfasste. Wir waren immer so in Gruppen aufgeteilt. Weil für den Englischunterricht nur relativ wenige in Frage kamen, zwei Jungs und fünf oder sechs Mädchen, wurde der Englischunterricht auf den Nachmittag verlegt. Er fand dann in der Privatwohnung des Lehrers statt.
Die meisten Hüsbyer Kinder haben damals die Dorfschule besucht. Nur sehr wenige gingen auf die Mittelschule (Realschule) oder auf das Gymnasium. 1972 wurde die Dorfschule geschlossen. Unser älterer Sohn hat sie noch zwei Jahre besucht. Wenn ich so die Dorfschule in Hüsby mit der Grund- und Hauptschule in Schuby, die meine Kinder besuchten, vergleiche, glaube ich nicht, dass es uns damals schlechter ergangen ist als ihnen. Meine Kinder sind vielleicht irgendwie freier gewesen als wir, was schon allein daran lag, dass sie mit viel mehr und unterschiedlicheren Kindern in Berührung kamen. Aber vom Schulischen her, ich meine, was die Leistungsanforderungen angeht, sehe ich kaum einen Unterschied. Wir haben bestimmt genauso viel und genauso gut gelernt wie sie. Wir hatten unsere Probleme, sie die ihren. Unser Glück bestand meines Erachtens darin: Wir waren immer alle zusammen, im Unterricht, in den Pausen und auch nach der Schule. Wir waren auch nicht in Jahrgänge voneinander getrennt, sondern immer mit Jüngeren und Älteren zusammen.

Platt
In die Zeit, in der hier die Dorfschule abgeschafft wurde, fällt eigentlich auch das rasante Verschwinden des Plattdeutschen. Ende der 60er Jahre setzte so eine Zeit ein, in der alle mit ihren Kindern nur noch Hochdeutsch sprechen wollten. Wir haben uns dieser Tendenz immer, so gut es ging, widersetzt und es tut mir bis heute nicht leid. Nicht selten konnte ich damals hören: „Wie könnt ihr mit euren Kindern nur Plattdeutsch reden. Wenn die erst zur Schule kommen, die armen Kinder, die werden es schwer haben.“ Es war damals fast so, als wären wir asozial. Aber wir wollten es nicht. Wir konnten auch kein Hochdeutsch, als wir zur Schule kamen und haben es doch gelernt.
Wir haben mit unseren Kindern nur Plattdeutsch gesprochen, untereinander sowieso. Unser älterer Sohn konnte noch kein Hochdeutsch, als er zur Schule kam, aber bei unserem drei Jahre jüngeren sah es schon etwas anders aus. Er konnte schon Hochdeutsch, was sich irgendwie von allein ergeben hat. Aber richtig Hochdeutsch haben sie praktisch erst in der Schule gelernt.
Die Lehrerin, die selbst gut Plattdeutsch konnte und zu Beginn mit den Kindern auch platt sprach, sagte damals: „Die ersten zwei Jahre werden vielleicht ein bisschen schwerer.“ Und so ist es auch gekommen. Natürlich gab es manchmal lustige Verwechslungen. Aber im Allgemeinen erwuchsen unseren Kindern keine Nachteile aus ihrer plattdeutschen Muttersprache.
Bei unseren Enkelkindern sieht es allerdings ganz anders aus. Das älteste Kind unseres jüngeren Sohnes war das einzige Kind in seiner Schulklasse, das Plattdeutsch sprechen konnte. Aber es konnte auch bereits perfekt Hochdeutsch, als es eingeschult wurde. Die beiden jüngeren Kinder sprechen kaum noch platt. In der Familie sieht es dann so aus: Unser Sohn schnackt Platt, unsere Schwiegertochter redet Hochdeutsch. Wenn unser Sohn zu unserem ältesten Enkel etwas auf Platt sagt, spricht auch er Platt, wenn seine Mutter mit ihm Hochdeutsch redet, antwortet er auf Hochdeutsch. Er kann sofort und ohne jedes Problem umschalten. Die beiden anderen Enkel können zwar auch Platt verstehen, aber nur wenn sie im Melkstand sind und unser Sohn sagt: „Jetzt wird Plattdeutsch geschnackt“, dann geht das Sprechen auch bei ihnen.




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10. - Erinnerungen eines Landwirts (2. Teil)