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Szenen auf einem Bauernhof

Serie

mit Texten von Konrad Gutschke



Kinderfest, etwa 1932 


Die Bauern gestern und heute
Mein Großvater hatte vier Kühe, was der Größe seines Landes entsprach. Mehr Tiere konnte er gar nicht versorgen. Bei meinem Vater sah es schon ganz anders aus. Durch seine Stellmacherei hatte er zusätzliche Einnahmen. Er verfügte über flüssiges Geld, womit er nach und nach neues Land kaufte und auch den Wald. So wurden aus vier Kühen schnell 10. Durch den Krieg und die Nachkriegszeit stagnierte die allgemeine Entwicklung im Dorf, aber bereits in den fünfziger Jahren kam es zu einem gewaltigen Entwicklungssprung. Schnell ging es nicht mehr, dass jemand mit 10 Kühen bestehen konnte. Auch unser Hof musste ständig erweitert werden, indem wir Land pachteten. Dabei hatten immer weniger Menschen die ganze Arbeit zu erledigen. Außerdem zwang uns die Entwicklung dazu, ständig mehr Maschinen bei der Landarbeit einzusetzen.

Altes Dorfzentrum: der Dorfteich
Zunächst gab es ja noch viele Bauern im Dorf. Da sich aber nicht jeder Hof erweitern ließ, kam für manchen Bauern sehr schnell der Punkt, an dem sich seine Arbeit nicht mehr rentierte. Die meisten gaben auf, ihr Land wurde verpachtet. Für manche Bauern, die hier seit Generationen gelebt hatten, war es sicher eine traurige Angelegenheit. Oftmals haben sie sich nach der Verpachtung ihres Landes zwar viel besser gestanden als vorher, aber ob sie damit glücklich wurden, ich weiß nicht? Man hängt doch auch an seinem Land und seinem Vieh. Und wenn man sein ganzes Leben lang selbständig gewesen ist, fällt es einem auch nicht einfach, vielleicht in einem großen Betrieb in Schleswig als abhängiger Angestellter zu arbeiten.
Es ist komisch, heute scheint alles viel besser zu sein und wenn ich erst zurückdenke, wie bescheiden, einfach und ohne Komfort wir damals hier gelebt haben, frage ich mich manchmal, warum ich die Zeit meiner Kindheit heute immer noch so schön finde.

Die „Lütte" muss stehen
Unsere Familie bestand aus acht Leuten und mehr. Wir waren „ein ganzer großer Tisch voll“. Wenn wir uns zum Essen versammelten, war wirklich nicht mehr viel Platz übrig. Wir aßen gemeinsam in der Küche. Unser Esstisch war lang und der Raum klein, sodass der Tisch mit den Stühlen kaum hineinpasste. Unter dem Fenster an der einen Seite des Tisches stand eine Bank. Auf der anderen Seite vorne saßen Vater und Mutter und ich weiß nicht wer noch. An der anderen Kopfseite aber befand sich der Küchenschrank, da passte kein Stuhl mehr hin. Ein Sitzplatz also fehlte und dabei wurde gerade dieser dringend benötigt, um allen am Tisch Platz zu bieten. Was war zu tun? Alle wollten am Tisch Platz haben. Aber wie wir auch die Sitzgelegenheiten ordneten, für einen von uns reichte es nicht. Er musste immer stehen, und das war der jeweils „Lütte“. Erst war es mein jüngster Bruder und als er ein bisschen größer wurde, durfte er sitzen und ich musste stehen. Ja, es ist heute kaum zu glauben, ich musste im Stehen essen.

Es setzt die „Büx" voll
Geschlagen wurden wir Kinder eigentlich nicht. Nur einmal erinnere ich mich, setzte es die „Büx“ voll. Das war schrecklich.
Eine der Nachbarfamilien von gegenüber hatte eine Tochter, die ihren Spaß daran hatte, meinem Bruder einen Schrecken einzujagen.
Eines Tages, er kam gerade von unten aus dem Dorf und wollte nach Hause, trat sie auf ihn zu und sagte: „Pass bloß auf, wenn du nach Hause kommst, dann setzt es was.“ Mein Bruder wusste zwar nicht, was er Böses angestellt haben sollte, aber er hatte solche Angst, dass er heimlich in die Lohdiele schlich und sich im Heu versteckte, das sich auf einem dort abgestellten Wagen stapelte.
Der Abend nahte und mein Bruder traute sich nicht hervor. Die ganze Familie machte sich zunächst nur Sorgen, dann geriet sie in helle Aufregung und schließlich begannen alle, meinen Bruder zu suchen: im Stall, in der Werkstatt. Alle erdenklichen und gefährlichen Verstecke wurden durchsucht. Zuletzt wurde sogar die Brunnenabdeckung abgenommen in der Befürchtung, er könnte in den Brunnen gefallen sein. Mein Bruder aber blieb unauffindbar
Als keiner mehr hoffte, ihn zu finden, entdeckte ihn doch jemand wie zufällig in der Lohdiele. Er war wieder da und wir freuten uns. Aber unsere Angst war noch nicht ganz verflogen und Ärger stellte sich ein. Warum hatte er sich versteckt und uns solche Angst gemacht? Das musste bestraft werden. Und so kam es, dass mein Vater meinem Bruder das Fell versohlte. Es war schrecklich und traurig. Mein Bruder tat mir so Leid. So hatte sich die Prophezeiung der Nachbarstochter auf ganz verdrehte Weise wirklich erfüllt.

In der Jauchentonne ersäuft
Die Tochter war überhaupt so eine. Sie hatte einen Kater, der war auch alt. Weil er nicht mehr seine Aufgaben so recht erfüllte, wollte sie ihn los werden. Nur wie? Eines Tages packte sie das Tier kurz entschlossen und kam zu uns rüber auf den Hof. Vor dem Kuhstall stand ein Bassin mit Jauche. Die Frau zögerte nicht lange: ab mit dem Kater in die Jauchentonne.
Damals musste die Jauche immer noch mit der Hand gepumpt werden, sodass in der Jauche das lange Rohr der Jauchenpumpe steckte. Und siehe da, die Tochter war kaum weg, tauchte die Katze aus der Jauche wieder auf, kletterte am Rohr hoch und nass und dreckig wie sie war, sauste sie über die Straße wieder nach Haus. Das dumme Tier! So kriegte die Frau die Katze noch einmal zu fassen. Wenn ich daran nur denke! Diesmal griff sie sich einen Sack, steckte einen großen Stein hinein und zum Schluss die Katze. Furchtbar! Dann ersäufte sie das Tier endgültig in der Jauche.




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4. - Ein geschlossenes Leben (3. Teil) 6. - Freizeitgestaltung und Mitmenschlichkeit