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Viele Geschichten mag ich gar nicht erzählen, zum Beispiel wie hier geschlachtet wurde. Ich glaube, die meisten Bürger heute würden sich nur wegen der Tötung eines Tieres entsetzen. Die Menschen wollen heute nur das Beste vom Besten essen, aber wo es herkommt, wollen sie nicht zur Kenntnis nehmen. Nun habe ich das eine oder andere doch zu berichten. Das Leben eines Bauern ist nicht so ganz uninteressant und ereignislos, wie manche vielleicht meinen.
Als das Dach abflog Es war 1953, zwei Tage vor Weihnachten, als sich für uns die Katastrophe ereignete. Es war keine wie die Schneekatastrophe, die 27 Jahre später den äußersten Norden des Landes heimsuchte. Unsere Katastrophe betraf nur uns, wenn sie auch für Schleswig Holstein im Allgemeinen jahrhundertelang typisch war. Unsere Katastrophe brachte der Wind. Ein Wintersturm fegte über das Land. Windstärke 12 oder sogar mehr. Zu unserem Unglück hatte sich eine Windhose gebildet und Hüsby zum Ziel ausgesucht. Sie brachte Schnee, Regen und vor allem Hagel mit sich. Was nicht niet- und nagelfest war, wirbelte sie in zerstörerischem Übermut durcheinander. Sturm war immer eine Sache zum Fürchten. Fenster und Türen mussten fest verriegelt werden, damit der Wind nicht ins Haus eindringen konnte. Und wenn wir uns zu Hause aufhielten, beobachteten wir zumindest immer mit einem Auge, wie der Sturm sich entwickelte. An diesem Tag war ich gerade hinten im Stall beim Kälber-Misten, als es geschah. Eine gewaltige Sturmbö drückte gegen das große Tor vorne. Die Verriegelung hielt nicht stand, sie brach und das Tor flog auf. Die „ganze Stange“ Wind pfiff durch die Lohdiele und riss dort zusätzlich die Tür zur Küche auf. Gewaltige Hagelkörner wirbelten durch die Lohdiele in die Küche und weiter bis unter den Küchentisch. Dort konnten wir sie nachher alle zusammenkehren. Der Wind war im Haus und suchte sich seinen Weg, um wieder hinauszukommen. Er drückte und zerrte gegen die Wände und nicht zuletzt von innen gegen das Dach. Jede neue Sturmbö verringerte die Festigkeit des Bauwerks und zerstörte mit Sicherheit alles, was bereits mürbe war. Wir taten, was wir konnten. Mit drei oder vier Mann versuchten wir, das Tor zu schließen. Wir kämpften gegen den Wind, der uns mehrfach mit dem Tor einfach zurückdrängte. Zuletzt, - der Sturm holte gewissermaßen Atem, - gelang es uns in dem Moment relativer Windstille, das Tor zu schließen und zu verriegeln. Aber das konnte nicht ausreichen, wie wir wussten. Auch konnten wir uns nicht ewig zur Verstärkung der Verriegelung gegen das Holz des Tores stemmen. Wir machten den alten Rübenwagen fertig, schoben ihn mit vereinten Kräften gegen das Tor und sicherten die Räder mit Holzklötzen, damit der Wagen nicht wegrollen konnte. Geschafft, eine erste Atempause! Dann schaute ich nach oben - überall der helle, graue Himmel! Überall konnte ich durchgucken. Der Wind hatte das Reetdach zerfetzt und wir hatten es nicht einmal bemerkt. Auch beim alten Schuppen hatte der Sturm sein Werk verrichtet. Er hatte das ganze Dach von innen gehoben, dann als der Wind etwas nachließ, war es versetzt wieder zurückgefallen. Die eine Seite des Daches war jetzt halb runtergesackt. Auch als wir zum Giebel kamen das gleiche Bild. Es war der 23. Dezember, als wir alle auf dem Dach saßen und fieberhaft daran arbeiteten, so gut es ging, das Dach auszubessern und die Teile zu befestigen, damit nicht noch mehr wegwehte. Unser Nachbar, Herr Binder, half uns, Gott sei Dank. Und selbst ich, der es absolut nicht gewohnt war, hoch auf dem Dach zu arbeiteten, zwang mich dazu, meine Arbeit zu tun. Das kostete Schweiß. Wir leisteten richtige Dachdeckerarbeit, aber es blieb ein Provisorium. 1959 haben wir den Stall abgebrochen. Da war dann alles so mürbe und rott, dass nichts mehr zu machen war. Wir haben den Stall neu gebaut, er kostete DM 20.000,-. Die Rechnung habe ich heute noch. Aber zur Windkatastrophe zurück: Weihnachten 1953 war in den Wind geschrieben!
Von der Schulbank an – 55 Jahre Bauer 1954 dann wurde das Jahr, das über mein Leben als Landwirt bestimmte. Es war nicht so, dass ich eine große Entscheidungsfreiheit hatte. Schon als Kind hatte ich bei der Landarbeit geholfen, aber bereits 1952 und besonders 1953 wuchs ich richtig in die Aufgaben eines Landwirts hinein. Damals wurde das meiste noch mit menschlicher Arbeitskraft erledigt und was wir mit unseren eigenen Händen nicht schafften, dabei halfen uns die Pferde. Pflügen habe ich noch gelernt wie anno dazumal mit Pferd und Pflug. Die Landwirtschaft nach dem Krieg war überhaupt noch lange rückständig. Allein wenn ich daran denke, wie wir mit dem Mist oder der Jauche damals umgingen. Die ganze Fläche hinter unserem Haus ist leicht erhöht. Wir hatten dort am Mistberg unsere Jauchengrube. Eine primitive Lösung. Sie war zwar vorsorglich tief ausgehoben, aber wenn es nicht gerade lange trocken war, stellte sie immer ein Problem dar. Wenn es nur ein paar Tage regnete, war sie sogleich voll und dann lief es und lief es die Straße runter über den Graben und dort in die Rinne. Bereits als Kind habe ich mir gesagt, wenn ich einmal die Landwirtschaft machen sollte, dann wird die Jauchengrube das erste sein, was in dieser Form verschwindet. Wer hätte gedacht, dass ich das Versprechen, welches ich mir als Kind gab, nur einige Jahre später einlösen sollte. Im Frühjahr 1954 beendete ich die Schule, am 4. April wurde ich konfirmiert und 14 Tage später starb mein Vater. Plötzlich stand ich als unausgebildeter Jugendlicher völlig unerwartet vor der Aufgabe, den Hof selbständig weiterführen zu müssen. Seit über 50 Jahren mache ich seither die Landwirtschaft. Es begann gleich mit einer revolutionären Neuheit, mit einem Trecker, den wir am 2. Juli in Schuby abholen sollten. Es war ein Ereignis, das uns aus unserer Trauer in die Realität zurückholte. Einen Führerschein hatte ich damals noch nicht, aber mit Erlaubnis der Polizei durfte ich ihn nach Hause fahren und ihn dann im Dorf und in der Feldmark zur Landarbeit einsetzen. An sich gehörte ich damals noch zur Kindergilde und es war Kinderfest. Aber ich verzichtete darauf, daran teilzunehmen. Ich holte lieber den Trecker ab, denn wir waren auch mit der Arbeit weit im Rückstand. Die Arbeit als Bauer begann also mit einem Trecker. Es war ein gewaltiger Fortschritt, aber voll automatisiert lief noch nicht alles. Zum Beispiel das Mähen: der Trecker erleichterte die Arbeit, aber schon vorher hatten wir Selbstbinder. Auch konnten wir auf die Handarbeit nicht ganz verzichten. Damit der Trecker nicht alles runterfuhr, musste eine erste Runde immer noch mit der Hand gemäht werden. Das ging noch viele Jahre so. Ich habe gemäht und meine Frau Christa hat die Garben gebunden. Erst 1967 haben wir das letzte Mal angemäht. Es wurde eine jahrzehntelange harte Arbeit, morgens früh aufstehen, abends zerschlagen ins Bett. Urlaub, an so etwas haben wir damals nicht gedacht. Die Arbeit hatte ihren eigenen Rhythmus, die Tiere mussten regelmäßig versorgt werden, sie duldeten keine Nachlässigkeit. Der Hof wurde aus- und umgebaut. Unablässig wurde modernisiert. Wie gesagt, wurde der Stall 1959 neu gebaut. Der Viehbestand wuchs und damit die Arbeit und um uns diese wiederum zu erleichtern, kamen neue Gerätschaften und für diese Unterstände bzw. Schuppen hinzu. Meine Mutter half kräftig bei der Arbeit und sie verfugte selbst das Mauerwerk, flieste unser erstes Badezimmer, reparierte die kleinen Fenster des Stalles und erledigte die anfallenden Malerarbeiten. Von Anfang an haben wir uns praktisch immer vergrößert. Zuerst wurden wir größer und moderner, weil wir es wollten. Wir waren Fachleute und bestrebt, unsere Arbeit so gut wie möglich zu machen. Aber etwa in den achtziger Jahren setzte eine Entwicklung ein, die aus dem Wollen auch ein Müssen machte. Jetzt mussten wir größer werden, um überhaupt überleben zu können. Ungefähr 1995 war dann ein Punkt erreicht, an dem wir uns ernsthaft fragten, ob wir noch weitermachen sollten. Die Möglichkeiten, uns hier im Dorf auszuweiten, waren erschöpft. Wahrscheinlich hätten wir auch aufgehört, wenn unser Sohn Heino sich nicht entschieden hätte, die Tradition fortzuführen und Landwirt geworden wäre. Auf der Landwirtschaftsschule hatte man ihm den Spruch beigebracht: entweder wachsen oder weichen. Als es sich dann ergab, packten wir nach dieser Devise mit ihm zusammen die Gelegenheit beim Schopfe und pachteten die Ländereien eines Hofes, der aufgab. Wir siedelten aus. Jetzt ist der ursprüngliche Hof nur noch ein Teil des Gesamtbetriebs. Aber der Druck hat in den letzten Jahren nicht abgenommen. Im Gegenteil! Die Technik ist wohl weit fortgeschritten, aber sie muss auch bedient werden und irgendwann reicht die Arbeitskraft nicht mehr aus, dann ist vieles nicht mehr zu schaffen. Und außerdem, nicht zu vergessen, die Bürokratie, sie droht mit ihren Fangarmen die Landwirtschaft regelrecht zu ersticken. Wenn ich nur daran denke, was heute alles verlangt wird. Ich könnte es nicht mehr. Ohne Computer geht heute sowieso kaum noch etwas in der Landwirtschaft. Allein die Kennzeichnung der Tiere. Innerhalb von drei Tagen müssen die Kälber Ohrmarken haben. Sie werden in Datenbanken in München gemeldet und erfasst. Dann werden die Ohrmarken hierher geschickt. Außerdem erhält jedes Tier einen Ausweis. Heute Morgen zum Beispiel kommt Heino mit seiner Aktenmappe, um zu vergleichen, ob die Ohrmarken mit dem Ausweis übereinstimmen. Das ist eine zeitaufwendige, aber unbedingt notwendige Arbeit, weil bei einer Nicht-Übereinstimmung die Tiere nicht geschlachtet werden oder solange nicht abgerechnet wird, bis alles geregelt ist. Das ist nur ein einziges Beispiel für eine Vielzahl von Arbeiten, die ein Bauer der Gegenwart alle zu erfüllen hat. - Ein Bauernhof kann heute nur noch als ein hochmoderner Produktionsbetrieb überleben, bei dem die eigentliche Landwirtschaft immer weniger die zentrale Rolle spielt.
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