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b) Gebote, Tugenden und Gesetze
Rosa: Wir sind frei und setzen frei fest, was gut ist. Und wie ist das bei den Geboten? Jan-Christoph: Die sind von Gott festgesetzt. Rosa: Ja, und nicht von uns. Jan-Christoph: Die haben auch nichts mit der Erkenntnis des Allgemeinen zu tun. Rosa: Bei den Geboten ist das Gute immer etwas ganz willkürlich und einseitig Festgelegtes. Aber wenn man gut sein will, kann man sich gar nicht an sie halten, denn etwas einseitig Bestimmtes ist niemals nur gut. Das ist gerade das Böse. Conny: Worum geht es also? Rosa: Man muss es selbst bestimmen. Und - halt - man muss immer das Allgemeine im Auge behalten. Jan-Christoph: Die Gebote sind alle Quatsch. Conny: Die vielen Regeln, Vorschriften, Gebote etc. sind wie Platon sagt, gewisse Glaubenssätze über gerechte und sittliche Handlungen, von welchen wir wie von Eltern aufgezogen werden. - Wir können sie vielleicht etwas altertümlich »bürgerliche Tugenden« oder moderner »Werte« nennen.*
Rosa: Naja, ist auch egal. Auf jeden Fall sind die bürgerlichen Tugenden und Gebote einseitig. Conny: Moment! Die bürgerlichen Tugenden sind an uns mit fremder Gewalt gekommen. Sie sind in und an uns als Glaubenssätze. Sie treten als Gebieter auf, denen wir gehorchen sollen. Ihre Inhalte sind einseitig... Rosa: ...ganz bestimmt. Jan-Christoph: Nenn mir mal ein paar Beispiele. Rosa: Na, du sollst nicht töten, du sollst barmherzig sein, du sollst ordentlich sein, immer die Wahrheit sagen, nicht stehlen und gehorchen. Guck mal, Janni, da räumt man dir gar keine Freiheit ein. Es ist immer etwas ganz Bestimmtes und Besonderes gemeint, und es wird ganz einseitig aufgefasst. Conny: Hm. Rosa: Versuch jetzt nicht spitzfindig zu sein. - Natürlich kann man sagen, dass die Gebote auch immer ihr Gegenteil an sich haben; das ist ganz gewiss so, aber es wird durch sie nicht ausgedrückt. Wie soll ich das jetzt sagen. Wenn ich z.B. höre, ich soll gehorchen, dann ist damit gemeint, dass ich nur gehorchen soll. Weil ich es aber bin, die gehorchen soll und ich über mein Tun entscheide, ist das Gehorchen an sich selbst auch immer Befehlen. Das ist ja nun wohl mal sicher. Aber in dem Gebot wird die andere Seite nicht ausgesprochen und sie ist auch nicht gemeint. Conny: Sie ist nicht gesetzt. Rosa: Ja. Und guck mal, hat deine Mutter dich nicht verhauen mit den Worten: du hast zu wissen, wann du nicht gehorchen sollst. Und wie ist es mit dem Stehlen oder dem Lügen. Also, wenn ich hungere und du hortest hier die fetten Sachen, dann ist es doch wohl lachhaft, wenn ich dir da nichts wegnehmen darf. Nee, nee! Conny: Gut, Gebote sind einseitig. Aber sind sie deshalb böse? Und wir sollten auch nicht vergessen, dass sie über Jahrtausende ganz nützlich gewesen sind. Rosa: Genau das meine ich. Conny: Was meinst du? Rosa: Natürlich sind die Gebote ganz nützlich gewesen. Aber was heißt nun wieder ganz nützlich. Guck mal, normalerweise scheinen wir uns ja an so ein Gebot wie »du sollst nicht töten« zu halten, aber andererseits ist auch überall in der Welt Mord und Totschlag. Das kannst du nun mal nicht leugnen. Conny: Das leugne ich auch nicht, aber regeln die Gebote nicht - mehr schlecht als recht - unser Verhalten zueinander? Rosa: Ja, das gebe ich schon zu. Aber wenn wir es können, hält sich keiner daran. Conny: Dann ist Moral oder Gehorsam den Geboten gegenüber nur Mangel an Gelegenheit, wie Wilhelm Busch meinte? Rosa: Nicht nur Mangel an Gelegenheit, sondern Angst Conny. Angst! Conny: Mich befriedigt deine Kritik an den Geboten und ihren Inhalten, den bürgerlichen Tugenden noch nicht. Rosa: Wirklich? - Na dann mach du mal schön weiter. Conny: Das werde ich auch. Also, worum geht es in den Geboten? Jan-Christoph: Um Barmherzigkeit, Ordnung, Treue, Gerechtigkeit, um Stehlen, Lügen und Betrügen usw. Conny: Ja. Wir haben es dabei mit besonderen Inhalten zu tun, die ganz einseitig aufgefasst werden. Jan-Christoph: Du meinst Barmherzigkeit ist nur Barmherzigkeit oder Ordnung nur Ordnung. Conny: Ja. Aber reine Barmherzigkeit ist an sich selbst dasselbe wie reine Unbarmherzigkeit, reine Ordnung dasselbe wie Chaos. Wir haben darüber an andere Stelle schon gesprochen. Wenn ich nur barmherzig bin, kann ich in die Situation kommen, mein letztes Hemd wegzugeben. Ich werde mir gegenüber rein unbarmherzig. Oder wie ist es mit dem Nichttöten. Selbst Gott tötet, um das Töten zu strafen. Das könnt ihr in der Bibel unmittelbar nach den 10 Geboten lesen. Davon aber abgesehen, um zu leben töten wir, wenn keine Menschen, dann vielleicht Tiere, - wenn keine Tiere, dann vielleicht Pflanzen, - wenn keine Pflanzen, dann uns. Wir verhungern nämlich. Aber da bereits alles Anderswerden Negation des Seins oder Tod ist, wäre Nichttöten radikal ausgeführt der toteste Tod. Jan-Christoph: Halt mal. Ich möchte das jetzt für mich noch mal klar machen. Also, die bürgerlichen Tugenden sind gut. Aber weil sie einseitig sind, werden sie böse. Conny: Nicht ganz. Barmherzigkeit z.B. halte ich schon für etwas Gutes. Aber wenn ich Barmherzigkeit nur abstrakt als reine Barmherzigkeit auffasse, könnte sie sich, ehe ich mir darüber klar werde, zur reinen Hartherzigkeit verkehren. Du kannst z.B. sicher sein, überall, wo die reine Gerechtigkeit ihr Haupt erhebt, siehst du nur versteinerte Gnadenlosigkeit oder Ungerechtigkeit. Denk an die Inquisition. Rosa: Gut, gut, Conny das kennen wir längst alles. Aber worin entsprechen denn nun die Gebote noch dem Allgemeinen nicht? Liegt das vielleicht am Sollen? - Irgendwie ja schon, das Sollen ist wieder ganz einseitig gefasst. Es nimmt uns die Freiheit. Conny: Das Sollen müsste auch als Nicht-Sollen gesetzt sein. Rosa: Eben! Genauso, wie Gehorchen Nicht-Gehorchen ist. - Pass mal auf. Wie wäre die Wahrheit: Es greift mich einer an. Ich soll ihn nicht töten. Aber weil ich überhaupt nicht töten soll, soll ich auch mich nicht töten. Und deshalb werde ich ihn vielleicht töten, um nicht zu töten. Dann soll ich einerseits nicht töten, andererseits aber doch. Dann muss ich mich entscheiden. Das Gebot aber lässt mir gar keine Entscheidung. Conny: Okay. Wo steckt also im Gebot der Wurm? Rosa: Dass der Mensch in seiner Freiheit eingeschränkt ist. Conny: Das stimmt. Dies findet ihr auch als christliche Kritik an den Geboten des Alten Testamentes. Ihr erinnert euch sicher daran: Jesus vergeht sich gegen das Gebot, den Sabbat zu heiligen. Jan-Christoph: Moment. Wie ist diese Geschichte? Conny: Das Gebot lautete, den Sabbat zu heiligen. Jesus Jünger hatten aber wohl Hunger, und Jesus ließ es zu, ja er forderte die Jünger geradezu dazu auf, Ähren auf dem Feld zu ernten, also zu arbeiten. Er verging sich damit gegen das Gebot. Er beging ein Verbrechen. Er wurde deshalb auch zur Rede gestellt. Auf die Anklagen antwortete er: 1. Herr des Gesetzes ist der Mensch. 2. Der Mensch dient nicht dem Gesetz, sondern das Gesetz dem Menschen. Jan-Christoph: Dann ist das jetzt klar und wir können die Gebote abhaken. Anke: Fassen wir lieber zusammen, was wir bisher herausgefunden habe.- In den Geboten finden wir einseitig bestimmte Inhalte mit dem Charakter des Sollens. Conny: Gut. Dann kann ich jetzt weiter fragen. Steckt in Aufforderungen wie: du sollst gut sein, die Wahrheit sagen, barmherzig sein, irgendein Maß, eine Grenze. - Was meinst du Janni. Jan-Christoph: Also, wenn du mich schon fragst... die Gebote sind Unsinn. Sie fordern etwas Totales. Sie sind, wie heißt das,...totalitär oder so ähnlich. Rosa: Haben wir vorhin nicht gerade gesagt, sie fordern etwas Einseitiges. Jan-Christoph: Ja Rosa, aber sie fordern das Einseitige auch total. Rosa: Nee, sie fordern es nicht total, sondern maßlos! Der Wurm steckt in der Maßlosigkeit der Gebote. - Dann entsprechen sie ja in doppelter Hinsicht nicht dem Allgemeinen. Sie fordern etwas Einseitiges, und dieses Einseitige fordern sie maßlos. Dann sind die Gebote böse. Jan-Christoph: Ich dachte immer, die Gebote fordern etwas total. Rosa: Also wenn ich sage, du sollst barmherzig sein, ist damit dennoch nicht gemeint, dass du immer und unbedingt barmherzig sein sollst. Ja, das kannst du so auffassen, das liegt dann aber gerade an der Maßlosigkeit. Und guck mal wenn du nur raffst und raffst und dann am Ende deines Lebens mal eine Mark für irgend etwas stiftest, kannst du immer noch sagen, du bist barmherzig und andererseits, selbst wenn du dein ganzes Vermögen verschleuderst, kann ich kommen und behaupten, du könntest noch mehr geben. Jan-Christoph: Na, dann braucht man doch an die Gebote immer nur das Gegenteil anzufügen: du sollst gehorchen, und du sollst nicht gehorchen. Du sollst stehlen und nicht stehlen. Rosa: Genial Janni! So einfach ist das! Du sollst barmherzig sein und unbarmherzig sein. Dann sollst du zwar barmherzig sein, aber du sollst dann das Maß sein und frei entscheiden. Conny: Und wenn du denn das Maß bist, tust du, was dir gerade so gefällt. Rosa: Nee, das wäre dann ein Handeln nach der Privatansicht. Nee, nee, Conny, ich werde gleich sauer! Wenn ich das Maß bin, handle ich frei nach Einsicht in das Allgemeine. - Naja, wenn ich aber nach meiner Privatansicht handle, dann sind die Gebote vielleicht gar nicht so schlecht. Dann bin ich aber irgendwie wie ein wildes Tier, das dressiert wird. Conny: Okay! Der Mensch das Maß aller Dinge ist. - Neulich habe ich aber in der Zeitung gerade das Gegenteil gelesen. Dort wurde behauptet, wenn der Mensch sich weiter als das Maß aller Dinge betrachten würde, sei die Zerstörung der Welt nicht aufzuhalten. Rosa: Das ist auch so ein Schwachsinn. Die Welt wird doch nicht dadurch zerstört, dass der Mensch das Maß ist, sondern dadurch, dass er maßlos ist. - Also, wenn ich fordere, dass die Menschen die Erde nicht weiter zerstören, fordere ich doch nur, dass die Menschen sich als Maß begreifen und maßvoll handeln. Ha, Ha! Conny: Gut. Kehren wir zu den Geboten zurück. Sie befriedigen uns nicht. Damit sie dem Allgemeinen entsprechen, müssten wir sie neu formulieren. Rosa: Ja, wir müssten daraus Gesetze machen. Jan-Christoph: Wieso? Rosa: Na guck mal, wenn wir ein Gesetz festsetzen, sind wir das Maß, dann sind wir der Herr. Und mit dem Gesetz können wir z. B. festlegen, was ein Diebstahl ist und wann ein Diebstahl bestraft wird. Aber es kommt natürlich darauf an, dass das Gesetz auch dem Allgemeinen entspricht, ich meine jetzt der Inhalt des Gesetzes. Jan-Christoph: Ja schon. Aber Gesetze brauchen wir gar nicht mehr, weil wir längst Gesetze haben. Anke: Ihr unterstellst jetzt aber, dass die Gesetze dem Allgemeinen entsprechen. Schauen wir uns unsere Gesetze an. Sie sind von uns gesetzt. Rosa: In unseren Gesetzen heißt es nicht einfach, du sollst nicht töten. Sie unterscheiden z.B. zwischen Mord, Totschlag, Notwehr usw. Conny: Nach Heraklit nähren sich die Gesetze aus dem Allgemeinen.
Indem man sich im Begriff ausdrückt, muss man Kraft schöpfen aus dem, was allen gemeinsam ist, wie eine Stadt aus ihrem Gesetz, und noch viel stärker. Denn alle menschlichen Gesetze werden vom Einen, Göttlichen, ernährt; dessen Kraft ist unbegrenzt, und es reicht für alles aus und setzt sich durch. (110)
Anke: Aber ich kenne viele Gesetze, die ich für unrecht halte. Rosa: Du meinst jetzt die einzelnen Gesetze. Ja, das stimmt. Ein Gesetz muss aber nicht dem Allgemeinen entsprechen. Ich würde eher sagen, dass das Recht dem Allgemeinen entspricht. Das ist das Eine, das Göttliche. Viele Gesetze entsprechen nicht dem Allgemeinen. Sie sollten es aber. Conny: Das Recht, das Gesetz, ist das Gute, das Allgemeine, das Göttliche. Es ist der Grund, aus dem sich die Gesetze speisen sollten. Soweit sie diesem Grund entsprechen, ihr Inhalt das Allgemeine ist, sind sie wahre Gesetze. Wenn wir uns aber umschauen, werden wir viele Gesetze finden, die nicht besseres zu sein scheinen als willkürlich gesetzte Gebote, die zur Durchsetzung oder Absicherung privater Interessen dienen. Aber wie verkommen auch die einzelnen Gesetze sein mögen, sie sind Recht. Rosa: Hm, das leuchtet mir nicht ganz ein.. Conny: Die Gesetze werden von uns gesetzt und sie sind dann gut, wenn sie dem Allgemeinen entsprechen. Aber selbst wenn sie hundsmiserabel sind, bleiben sie Recht, sind sie Gesetz, genau wie der schlimmste Verbrecher nicht aufhört Mensch zu sein. Jan-Christoph: Das ist genau wie vorhin mit dem Maß. Wenn ich maßlos sein kann, bin immer noch Maß. Rosa: Du beweist dadurch, dass du Maß bist. Also die schlechten Gesetze beweisen nur, dass das Gesetz das Gute ist. - Halt mal! Dann ist da ein Unterschied zwischen dem Gesetz im Allgemeinen und dem einzelnen Gesetz, das es hier wirklich gibt. Conny: Zwischen dem wirklichen und dem real existierenden. Rosa: Wie bitte? Conny: Der real existierende Sozialismus ist nicht der wirkliche. Rosa: Hm, ja. Dann besteht das Problem bei der Gesetzgebung darin, wie das Gesetz zu sich selbst kommt. Conny: Das Gesetz, das Recht, die Gerechtigkeit »speist sich« aus dem Allgemeinen. Durch es wird ein Staat, eine Polis erst ein Staat. Aber inwieweit ein Staat wahre oder wirkliche Gesetze hat, inwieweit er also wahrer Staat ist, noch eine ganz andere Sache. Rosa: Also gut! Die Gesetze sind von uns gesetzt, sie sind Ausdruck unserer Freiheit oder so ähnlich - Und der Inhalt sollte dem Allgemeinen entsprechen.
(lacht) Moment, jetzt ist mir dabei mal wieder was aufgefallen. Das hat vielleicht damit nicht so viel zu tun. Conny: Bitte. Rosa: Man kann doch sagen, dass der Grund unseres Handelns die Freiheit ist? Conny: Ja. Rosa: Aber wenn wir Gesetze machen, z.B. im Bundestag, dann sagen wir immer, wir müssen die Gesetze machen aus dem und dem Grund. Jan-Christoph: Dann ist das Gesetz Herr des Menschen. Conny: Die sogenannten Gründe würde ich sagen. Rosa: Hm. - Auch bei allem, was ich sonst mache, soll ich immer Gründe finden. Conny: Je pfiffiger deine Gründe, desto besser für deine Privatansichten. Das Böseste in der Welt hat sich mit guten Gründen immer als das Gute ausgegeben. Rosa: Ich meine das jetzt so: der Grund für die Gesetze liegt doch in unserer Freiheit. Wenn wir aber sagen, Gründe, die ja in Wirklichkeit nur Umstände sind, bestimmen die Gesetze, dann bin ich dafür auch nicht verantwortlich. Ich meine, dann bin ich unfrei und dann entsprechen die Gesetze doch automatisch nicht mehr dem Allgemeinen. Conny: Ja. Soweit wir meinen, dass Gründe unser Handeln bestimmen, meinen wir, dass wir unser Handeln nicht selbst bestimmen, dass wir unfrei sind. Das hat den fragwürdigen Vorteil, wer gute Gründe hat, macht sich nicht des Bösen schuldig, nur des Guten - Rosa: Meinen wir. - Aber wenn wir selbst der Grund sind, machen wir uns immer schuldig. Conny: Ja, des Guten wie des Bösen. Daran geht nichts vorbei. Der Mensch ist das Maß, er setzt die Gesetze. Ich glaube, ich brauche jetzt nicht zu wiederholen, in welchem Sinne dieser Satz zu begreifen ist.
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