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Monos - Dyas - Trias

Das große Prinzip des Pythagoras


Leseprobe aus DER ANFANG: S. 154 - 160
September 1986



Das Unvergleichliche ist nichts



Conny: Die Pythagoreer haben die Gegenstände nie einseitig als nur für sich seiend und sichselbstgleich betrachtet.
Jan-Christoph: Alle Dinge sind nämlich auch geteilt - Unendlich, immer so weiter.
Conny: Ja, sie sind dazu übergegangen, alles auch als geteilt zu betrachten. Aber auch dabei blieben sie nicht stehen. Heutzutage jedoch könnt ihr erleben, wie wir die Dinge einmal nur als sichselbstgleich, ein andermal nur als geteilt auffassen - wie es uns gerade gefällt. ...
Rosa: ...Halt! Laber jetzt nicht rum! Sag schon, was du meinst.
Conny: Na, ich habe dabei eine Geschichte im Sinn, die uns seit vielen Jahren gepackt hat. -
Rosa: Und!?
Conny: Vor über vierzig Jahren wurden in Deutschland sechs oder sieben Millionen Juden in Konzentrationslager geschleppt und dort ermordet. Seit dieser Zeit stehen wir vor unseren Verbrechen und versuchen, sie zu begreifen. Was sind das für Verbrechen?
Jan-Christoph: Grausame Todesverbrechen.
Conny: Ja. Aber nun gibt es eine Vielzahl von Leuten, die sagen, diese Verbrechen lassen sich mit nichts vergleichen. Oder sie sagen, diese Verbrechen sind einmalig, unvergleichlich; sie sind das an sich Unfaßbare, das an sich Böse. Wie wir gehört haben, können wir alle Dinge als Eins betrachten. Wenn ich sie als Eins betrachte, sind sie zunächst einmal ...
Rosa: (lacht) Einmalig und für sich.
Conny: Ja.
Jan-Christoph: Alle Dinge sind einmalig.
Conny: Ja.
Jan-Christoph: Nee, doch nicht alle.
Rosa: Natürlich.
Jan-Christoph: Nee, nicht alle. So eine Gabel gibt es noch einmal.
Conny: Nein.
Jan-Christoph: Doch.
Rosa: Nein.
Conny: Die Gabel, die dort drüben liegt, ist zwar genauso anzusehen, aber es ist eine andere Gabel.
Rosa: Ja. - Janni, wenn zwei das gleiche tun, ist es nicht das gleiche.
Jan-Christoph: Warum?
Rosa: Weil sie eben nicht das gleiche tun.
Conny: Es sind zwei Handlungen für sich. Zwischen den beiden ist ein Unterschied, der aber in nichts anderem als dem Unterschied besteht. Von etwas nur zu sagen, es ist einmalig, ist von etwas so gut wie nichts gesagt, denn Einmaligkeit ist das allgemeinste.
Jan-Christoph: Versteh ich nicht.
Conny: Einmaligkeit kommt allen Dingen zu.
Rosa: Aber hör mal jetzt her! Alles ist einmalig und damit für sich. Aber wir haben herausgefunden, dass alles nur dadurch für sich ist, dass es auch nicht für sich ist. Es ist nämlich nur durch seine Beziehung auf anderes für sich. Wenn die Verbrechen aber nur für sich sein sollen, sind sie gar nicht.
Conny: Ich wüßte nicht einmal um ihre Einmaligkeit.
Rosa: Natürlich nicht.
Conny: Würde es dann aber vielleicht zutreffen, dass sie unvergleichlich sind?
Rosa: Was heißt überhaupt unvergleichbar?
Jan-Christoph: Unbezahlbar.
Rosa: Nicht wiedergutmachbar?
Conny: Das mag wohl stimmen, dass man diese Verbrechen nicht wiedergutmachen kann. Aber steckt das auch in dem Ausdruck unvergleichlich? Sie sollen unvergleichlich sein.
Rosa: Nee, das stimmt überhaupt nicht.
Conny: Sondern?
Rosa: Weil man sie immer mit anderem vergleichen kann. Weil ich doch alles mit allem vergleichen kann und auch muß. Sonst kommt gar nichts raus.
Anke: Was muß aber passiert sein, wenn ich zu der Aussage komme: etwas ist unvergleichlich?
Rosa: (lacht) Ich habe schon verglichen.
Anke: Ja, eben, das ist es.
Conny: Jani, wenn ich sage: ich kann dich mit nichts vergleichen, was habe ich dann getan? Wie bin ich zu dieser Aussage gekommen?
Jan-Christoph: Du hast verglichen.
Conny: Ja, ich habe dich bereits mit allem anderen verglichen. In keiner Hinsicht gleichst du aber irgend etwas anderem.
Rosa: Wenn diese Verbrechen wirklich unvergleichlich wären, dann könnten sie nicht einmal einmalig sein, weil die Einmaligkeit sich ja nur aus einem Vergleich ergibt.
Conny: Wenn ich behaupte, diese Verbrechen sind unvergleichlich, kann ich dann über diese Verbrechen etwas aussagen?
Rosa: Nein. Dann sind sie ... warte mal ... nur Eins. Sie sind unvergleichbar. Sie sind auch nicht einmal mit sich selbst vergleichbar.
Conny: Was also sind sie?
Anke: Nichts.
Conny: Ja. Wenn ich von diesen Verbrechen nichts weiter auszusagen habe, als dass sie unvergleichbar und einmalig sind, dann sage ich von diesen Verbrechen nichts aus. Ich drücke mich davor. Zwar meinen die Leute, etwas ganz Besonderes damit zu sagen, tatsächlich aber sagen sie ...
Rosa: Nichts. - Mit nichts zu vergleichen ... (lacht) Also hat man es mit nichts verglichen und ist zum Ergebnis gekommen, dass es nichts ist.
Conny: Ja. Dieses Problem ergibt sich, wenn ich das Eins so leer fasse, wie es die Pythagoreer zunächst getan haben. Bei unserem Beispiel aber geht es um etwas, was für uns von Wichtigkeit ist. Wir haben schließlich die Juden umgebracht. Wir können es uns nicht gestatten, bei so leeren Bestimmungen stehenzubleiben.

Pause

Jan-Christoph: Hm, hm. Was hat das eigentlich alles mit Philosophie zu tun?
Rosa: Wir können doch erst diese Begriffe erläutern, wenn wir Philosophie gemacht haben, Janni, hast du das noch nicht mitgekriegt?
Jan-Christoph: Ja, ja.
Conny: Die Ermordung der Juden scheint vielleicht mit Philosophie nicht so viel zu tun zu haben, aber das Begreifen dieser Taten ist sicher Aufgabe dieser Wissenschaft.
Jan-Christoph: Hm, ganz klar.
Rosa: Leider habe ich nur alles vergessen, wenn wir das nächste Mal Philosophiegespräche führen.
Conny: Das macht gar nichts. Wir bleiben immer, bei allem noch so verschiedenem Einzelnen, beim Gleichen. Es wird nur näher bestimmt.

Pause

Conny: Wie ist es nun, wenn ich weiter sage, diese Verbrechen sind das an sich Unfaßbare, das an sich Böse - alle diese Ausdrücke habe ich aus dem Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« - was spreche ich damit aus?
Rosa: Auch das Nichts.
Conny: Das ist richtig.
Rosa: Sie können sich nicht einmal an sich selbst fassen.
Jan-Christoph: Sie sind unbestimmbar.
Conny: Und wie steht es mit dem Ausdruck »das an sich Böse«.
Rosa: Das ist auch nicht besser. Die Verbrechen sind nur böse. Immer nur böse, ohne Unterschied. Sie sind sichselbstgleich.
Conny: Bei dem an sich Bösen treffen wir auf das leere Monos der Pythagoreer.
Rosa: Aber Conny, was ich noch sagen wollte. Vielleicht wissen die, die diese Verbrechen »das an sich Unfaßbare« usw. nennen, gar nicht, was sie mit diesen Begriffen sagen. Außerdem verstehen sie unter dem Begriff vielleicht etwas ganz anderes. Die gebrauchen den Begriff einfach falsch.
Anke: Es soll damit etwas ganz Besonderes gemeint sein.
Conny: Wenn jemand sagt, diese Verbrechen sind unvergleichbar, was will man dir dann wahrscheinlich sagen?
Rosa: Dass es so schlimm ist, dass es alles andere übersteigt. Wenn aber gesagt wird, dass ich das mit nichts vergleichen kann, dann ist das schon wieder das Ergebnis eines Vergleichs. Sie wollen aber sagen, dass es nichts Schlimmeres gibt, mit dem man es in die gleiche Position setzen kann.
Conny: Das ist klar. Sie haben es verglichen und betrügen dich um diesen Vergleich.
Rosa: Aber das machen sie nicht bewußt.
Conny: Ja.
Rosa: Gedankenlos.
Anke: Ja, ja. Aber vielleicht wird mit dem Ausdruck »das an sich Böse« nur das Erschrecken über die Verbrechen ausgedrückt. Die Verbrechen sind nicht das Unfaßbare, das liegt nur in unseren Augen. Die Verbrechen wirken aber wie ein Tabu, das unser Denken blockiert.
Pause

Conny: So, ich glaube, wir haben uns jetzt lange genug mit dem Monos der Pythagoreer befaßt. - Es hat sich ergeben, dass mit dem Monos etwas geschieht.
Rosa: Es wird immer Zwei.
Conny: Ja! - Damit sind wir dann beim nächsten Schritt.
Jan-Christoph: Davon seh ich aber noch nichts.
Conny: Das verstehst du noch nicht?
Jan-Christoph: Davon seh ich noch nichts!
Conny: Dann gebe ich dir morgen Nachhilfeunterricht.(lacht)
Jan-Christoph: (schreit) Nein, da streike ich!
Rosa: Privatunterricht.
Jan-Christoph: Ich streike dennoch!

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Thales Xenophanes